Münchenstein soll das Glück nähergebracht werden

Die Bürgergemeinde bietet Im Vorfeld ihres 100-Jahr-Jubiläums einen vierteiligen philosophischen Zyklus über das Glück an. Das Wochenblatt hat mit der Moderatorin, Frau Prof. Annemarie Pieper, gesprochen.

Befragt das Glück: Die bekannte Philosophin Annemarie Pieper, ehemals Professorin an der Uni Basel, moderiert die vier philosophischen Abende.  Foto: Thomas Brunnschweiler
Befragt das Glück: Die bekannte Philosophin Annemarie Pieper, ehemals Professorin an der Uni Basel, moderiert die vier philosophischen Abende. Foto: Thomas Brunnschweiler

Thomas Brunnschweiler

Wochenblatt: Frau Pieper, was ist für Sie persönlich Glück?
Annemarie Pieper: Glück ist etwas Individuelles. Man kann nur aus der eigenen Biografie sagen, was einen persönlich glücklich gemacht hat, dies lässt sich aber nicht verallgemeinern. Zudem empfindet man das Glück altersmässig unterschiedlich. Früher habe ich mir keine Gedanken gemacht über die Gesundheit. Heute bin ich schon froh, wenn mir nichts weh tut. Ich bin zufrieden mit dem, was ich noch tun kann. Im Hinblick darauf, was mir geglückt, ist, würde ich schon sagen, dass ich glücklich bin. Ich halte Glück für etwas Ganzheitliches.

Die Filmregisseurin Doris Dörrie hat einmal gesagt: «Die Suche nach dem Glück ist ein klares Indiz dafür, wie gesättigt die Gesellschaft ist.» Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Annemarie Pieper:  Wenn wir vergleichen mit einem Menschen, der nicht in zivilisierten Verhältnissen aufgewachsen ist, dann ist das, was wir als Glück bezeichnen, vielleicht schon ein Luxusproblem. Andererseits haben alle grossen Philosophen gesagt, der Mensch strebe nach Glück. Und sie haben das festgemacht an der Bedürfnisstruktur des Menschen. Wenn es uns gelingt, unsere Bedürfnisse zu befriedigen, kann man diesen Zustand als Glück bezeichnen. Ich verknüpfe die Glücksfrage immer auch mit der Sinnfrage. Wir haben einen Lebensentwurf und erst durch Unglückserfahrungen werden wir darauf aufmerksam, dass wir etwas nicht erreicht haben. Man kann das Glück herunterschrauben auf die Alltagsebene. Wenn uns etwas gelingt, sind wir zufrieden mit der Leistung und das ist eine Form von Glück. Wobei wir dieses Glück vom Fortuna-Glück unterscheiden müssen, das sich dem Zufall verdankt.

Die Glücksforschung ist praktisch so alt wie die Definition von Glück durch Aristoteles. Welche Aspekte der Frage nach dem Glück interessieren Sie am meisten?

Annemarie Pieper: Mich hat interessiert, woran die Philosophen das Glück festgemacht haben. Aristoteles verknüpfte das Glück mit der Moral. Ich kann also nicht auf Kosten anderer glücklich sein wollen. Diese Konfliktebene von Glück und Moral fand ich immer wichtig. Man ist herausgefordert, sich zu überlegen: Wie weit bin ich zur Solidarität verpflichtet, auch wenn das zulasten meines Glücksstrebens geht. Die Existenzphilosophen haben eine starke sinnliche Komponente des Glücks herausgestellt. Die klassischen Philosophen hingegen haben stets die Vernunftseite des Glücks betont. Die Vielfalt der Palette des Glücks fand ich immer spannend. Manchmal muss ich lachen über die ökonomischen und utilitaristischen Glücksrankings. Glück ist etwas Qualitatives, das sich nicht messen, sondern nur narrativ darstellen lässt. Der Staat soll nicht – wie moderne Utopien es versprechen – das Glück der Bürger garantieren, sondern nur günstige Bedingungen für deren Glücksstreben schaffen.

Gibt es Philosophen oder philosophische Schulen, deren Antworten auf die Frage nach dem Glück, ihnen besonders sympathisch sind?
Annemarie Pieper: Das sind die Existenzphilosophen. Selbst Kierkegaard hat die ästhetische Seite des Glücks betont, sie aber auch kritisiert. Bei Nietzsche war es umgekehrt. Er kritisierte das Christentum wegen seiner Leibfeindlichkeit und der Vorstellung eines elitären Glücks. Das leuchtet mir ein. Glück hat auch etwas mit dem Körper zu tun. Bei den Hedonisten (Epikur), die man oft zu Unrecht angreift, ist mir der Begriff des Masses wichtig.

Was müssten wir beachten, um glücklicher leben zu können, ohne uns auf der Suche nach dem Glück verrückt zu machen?
Annemarie Pieper: Die Verhältnisse auf der Welt sind so, dass wir mehr für Solidarität plädieren müssen. Die Aufklärung hat dazu geführt, dass wir uns etwas autistisch auf die Position des autonomen Subjekts zurückgezogen haben. Damit vergisst man die Verpflichtungen für das Glück anderer. Bei Kant steht ausdrücklich, man soll das Glück der Mitmenschen im Auge behalten. Dazu sagen wir heute Solidarität.

Philo Münchenstein
Der Bürgerrat hat beschlossen, dass die Kulturkommission unter dem Präsidium von Peter Brodbeck zur Einstimmung auf das 100-Jahr-Jubiläum der Bürgergemeinde im Jahre 2016 in diesem Jahr einen philosophischen Zyklus zum Thema Glück veranstaltet. In einer hektischen Zeit soll das vertiefte Nachdenken über einen alltäglichen Begriff einmal einen anderen Schwerpunkt setzen. Neben jeweils vier Podiumsteilnehmern ist stets die renommierte Philosophin Annemarie Pieper als Moderatorin anwesend.
1. Abend am 26. Januar 2015,
19.30 Uhr, Saal der Hofmatt. Thema: «Das Glück der Weisen», Impulsreferat von Prof. A. Pieper und Gespräch mit Pfr. Tabitha Walther, Patrick Künzle, Journalist, Dr. Beatrix Kolb, Max Mundwiler, Liedermacher.

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