Das Universum des Künstlers Paul Chan

Eine umfassende Ausstellung im Schaulager Münchenstein ermöglicht dem Kunstinteressierten einen Überblick über die Vielfalt der Themen, Techniken und verwendeten Medien des New Yorker Künstlers.

Netzwerke: «Argument» (vorne) und «Volumes» (hinten) sind im grossen Schaulager-Atrium zu sehen. Foto: Edmondo Savoldelli
Netzwerke: «Argument» (vorne) und «Volumes» (hinten) sind im grossen Schaulager-Atrium zu sehen. Foto: Edmondo Savoldelli

Schon vor längerer Zeit hatte Maja Oeri, die Gründerin der Laurenz-Stiftung, welche das Schaulager betreibt, ein Auge auf das Werk und die Entwicklung von Paul Chan geworfen. Der aufstrebende Künstler, 1973 in Hongkong geboren und jetzt in New York lebend, hat seit Jahrhundertbeginn an Ausstellungen der wichtigen Institute dieser Welt für zeitgenössische Kunst, an zahlreichen Biennalen und an der Documenta 2012 in Kassel teilgenommen.

Und nun die Einladung zu «Selected Works» für das Schaulager, zu seiner bisher grössten Einzelausstellung und «vielleicht zu meiner grössten überhaupt», wie der Künstler an der Eröffnung meinte. Tatsächlich ist es für den Besucher schwer vorstellbar, wie man die Grösse, die Vielfalt und die Komplexität des Gebotenen noch übertreffen könnte. Das Ausstellen aktueller bildender Kunst ist eine Kunst für sich, eine eigene Gattung in der Vielzahl der Medien, in welcher sich zeitgenössische Künstler bewegen. Paul Chan hat die Herausforderung angenommen, sich für ein paar Jahre zurückgezogen und präsentiert jetzt im nach seinen Plänen umgebauten Erd- und Untergeschoss ein Ausstellungswerk, das denjenigen, der sich mit Zeit und Engagement darauf einlässt, mit Staunen über die Produktivität eines Einzelnen und mit dem Einblick in das Universum eines modernen Menschen belohnt, der sich auf nichts weniger als auf alles zu konzentrieren scheint. Dazu bedient sich Chan früherer Werke wie auch des für Münchenstein neu Geschaffenen.

Um eine Ahnung zu bekommen, womit man es im Schaulager zu tun bekommt, seien die Tätigkeiten des Paul Chan aufgezählt: freilich ist er Zeichner und Maler, dann aber auch Videokünstler und Trickfilmgestalter, Schattenspieler und Kybernetiker, Grafiker, Typograf und IT-Spezialist, Autor und Verleger, Philosoph und Semantiker – und nicht zuletzt Familienvater.


«Was will der Kerl?»

All diese Fähigkeiten visualisieren sich in 24 offenen und geschlossenen Räumen und in drei aufwendigen Publikationen. Ein fast 400 Seiten starker Katalog zeigt das computergenerierte Konzept der Ausstellung und die Bildwelt des Paul Chan, aus welcher die einzelnen Arbeiten gespiesen werden. «Selected Writings» stellt eine Sammlung von Texten dar, welche sich auf Kunst und Künstler, Politik und Schriftsteller beziehen. Und in «The New New Testament» erweitert er die Abbildungen seiner Arbeit «Volumes» um spezifische Texte zu den einzelnen Werkteilen. «Volumes» hat es in sich. Wie ein Raster überziehen 1005 übermalte Buchdeckel von ausgeweideten Büchern die Wände des grossen Atriums. Der bibliophile Chan gibt damit ein vielschichtiges Statement ab. Auf der visuellen Ebene zeigt sich ein immenses abstraktes All-over, dessen Farbigkeit von den Objets trouvés der Buchdeckel stammt. Auf der Deutungsebene können die Schleusen der Assoziation geöffnet werden. Was wäre, wenn alle Bücher dieser Welt nur Bestandteil eines einzig grossen Buches wären, das Buch der Bücher? Die einzelnen Inhalte können vergessen werden, sie werden mit eigenen Bildern überlagert und vernetzen sich zu einem universellen Gesamtbuch, dessen Sprache erst gelernt werden muss: das «New New Testament».

Mit Vernetzungen beschäftigen sich auch verschiedene neue Arbeiten unter dem Titel «Arguments». Alte Schuhe in allen Variationen von Farbe, Typ und Grösse sind mit Beton ausgegossen. Die Energien des Menschen, welche sich in seinem Willen und seinen Lebensschritten zeigen, finden ihre materielle Spur und ihr Symbol im Schuh. Durch Stromkabel sind alle diese Schuhe in verschiedenen Kreisläufen verbunden. Strom, Energie läuft ungebremst und grenzenlos von einem zum andern und strömt in einem organischen Netzwerk, das an die Beuys’sche soziale Plastik erinnert.

«Volumes» und «Argument» sind nur zwei Beispiele aus der Fülle von Bildwerken, Videoprojektionen, Skulpturen und Installationen, welche buchstäblich durch Himmel und Hölle gehen. Wer sich darauf einlässt, kommt vielleicht der Antwort auf die Frage näher, welche Maja Oeri zum Auftakt des Ausstellungskatalogs stellt: «Was will der Kerl?». Das Schaulager kommt allen Interessierten entgegen und offeriert für ein Eintrittsticket gleich drei Besuchsmöglichkeiten.

Paul Chan: Selected Works. Ausstellung im Schaulager, Ruchfeldstrasse 19, Münchenstein. 12. April bis 19. Oktober. Di, Mi, Fr, Sa, So 12-18 Uhr. Do 12-22 Uhr. Feiertage 12-18 Uhr; Ostermontag und Pfingstmontag geöffnet. Während der Art Basel, 16. bis 22. Juni, Mo, Di, Fr, Sa 10-20 Uhr, Mi 12-20 Uhr, Do 10-22 Uhr, So 10-18 Uhr. Begleitendes Veranstaltungsprogramm: <link http: www.schaulager.org external-link-new-window>www.schaulager.org. Zur Ausstellung sind drei Publikationen und ein gratis Ausstellungsheft erschienen.

 

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