Der Gedenkhain: Ruhestätte zweier Seelenverwandter

Viele kennen seine «Galgenlieder», wenige wissen, dass er neben Rudolf und Marie Steiner beim Goetheanum seine letzte Ruhestätte gefunden hat: der Dichter Christian Morgenstern. Eine kleine Spurensuche.

Unbekannter Friedhof: Das Urnenfeld im Gedenkhain beim Goetheanum, wo auch Christian Morgensterns Asche ruht. Dahinter die Bronzeplastik von Wive Larsson und der Gedenkstein Rudolf Steiners.  Foto: Thomas Brunnschweiler
Unbekannter Friedhof: Das Urnenfeld im Gedenkhain beim Goetheanum, wo auch Christian Morgensterns Asche ruht. Dahinter die Bronzeplastik von Wive Larsson und der Gedenkstein Rudolf Steiners. Foto: Thomas Brunnschweiler

Thomas Brunnschweiler

Es gibt in Dornach den einen oder anderen Ort, wo es sich meditieren lässt: in der Baumkathedrale im Klostergarten, auf dem Schloss Dorneck oder aber im Gedenkhain beim Goetheanum. Durch eine dichte Hecke geschützt, fast versteckt liegt diese ruhige Oase, wo nicht nur die Urnen von Rudolf und Marie Steiner beigesetzt worden sind, sondern auch jene von Christian Morgenstern, dessen 100-jähriger Todestag am 31. März 2014 von seinen Bewunderern begangen wurde.

Von Nietzsche zu Christus
Der 1871 in München geborene Morgenstern wurde vor allem als Lyriker und Übersetzer Ibsens, Strindbergs und Hamsuns bekannt. Sein Leben war geprägt vom frühen Verlust der Mutter, einer Lungenkrankheit und der Rebellion gegen die bürgerlichen Werte seiner Zeit. Als 22-Jähriger begegnete er in der «Gefangenschaft» eines Kuraufenthalts den Schriften von Bürgerschreck Nietzsche, die ihn faszinierten. Obwohl auch Steiner sich damals mit Nietzsche auseinandersetzte und sogar die frühen Gedichte Morgensterns besprach, vergingen Jahre, bis sich die beiden seelenverwandten Männer begegneten.
1906 erlebte Morgenstern in Birkenwerder eine grosse mystische Erfahrung im Zusammenhang mit dem Johannesevangelium. Vieles, was er damals in seinen Schriften ansprach, war wie ein Vorgriff auf die Anthroposophie. Am 28. Januar 1909 begegnete er Steiner erstmals bei einem Vortrag in Berlin. Schon bald waren die beiden Freunde.

Morgenstern liess keine Gelegenheit aus, Steiner zu hören. Rudolf Steiner sagte später: «Es war denjenigen, die ihm persönlich näher standen, etwas so Wunderbares, zu wissen, wie er, wenn er in den schweizerischen Höhen ruhte oder seine Gesundheit zu verbessern suchte, räumlich weit von uns, doch geistig mit uns vereint war.» Steiner schätzte auch den humoristischen Dichter Morgenstern, dessen «Galgenlieder» durchaus ein spirituelles Element aufweisen. «Man darf», schreibt dazu der Germanist Wolfram Groddeck 1971, «auch hier von einer Art Auferstehungsvorgang sprechen, denn der Mensch wird aus der Verkrampftheit des zivilisatorischen Zwanges in einen Bereich versetzt, in dem die starre Gesetzmässigkeit der Alltagswelt nicht mehr gilt.»

Tiefe Verbundenheit
Nach Morgensterns Tod im Südtirol wurden die sterblichen Überreste nach Basel überführt und eingeäschert. Die kunstvoll gestaltete Urne Morgensterns bewahrte Rudolf Steiner in seinem Atelier in der Schreinerei neben jener von Edith Maryon auf. Jetzt begann zwischen Steiner und dem Dichter ein «bewegendes Gespräch über die physischen Grenzen hinweg», wie Reinhardt Habel schreibt. Von Ostern 1914 bis Ostern 1915 spricht Steiner in jedem seiner Vorträge über den «Gang der Seele Christian Morgensterns in die nachtodliche Welt.» Später kamen alle Urnen in einen Raum im Goetheanum, bis man Ende der 1980er-Jahre die Tradition hinterfragte und die rund 1500 Urnen der anthroposophischen Mitarbeiter in der Erde beisetzte.
Weiterführendes zu diesem Thema ist zu finden im Buch von Peter Selg: «Christian Morgenstern. Sein Weg mit Rudolf Steiner».

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